Rechtsextreme Gruppen nutzen Kampfsport und Selbstverteidigungsangebote als Finanzierungsquelle und zur Aufrüstung für politische Gewalt.

Das Modellprojekt VOLLKONTAKT hat Präventivstrategien für eine demokratische Sportkultur entwickelt. In Chemnitz eröffnet der Verein Athletic Sonnenberg demnächst ein Gym für alle, in dem Diskriminierungen und Menschenfeindlichkeit keinen Platz haben.

Rechtsextreme Ideologien sind grundlegend gewaltvoll. Sie verstehen das Leben als Kampf gegen konstruierte Feinde, also gegen Menschen, die nicht weiß sind, queere Personen, JudenJüdinnen, politische Gegnerinnen und alle, die nicht in die Vorstellung eines „homogenen deutschen Volkes“ passen.

Angetrieben von rassistischen Ideologien, politischen Umsturzplänen und einem männerbündischen Gewaltideal nutzt die extreme Rechte den Kampfsport nicht nur, um für den politischen Straßenkampf zu trainieren.

Längst betreiben rechtsextreme Gruppen eigene Gyms und Studios, organisieren profitorientierte Kampfevents und verkaufen Sportbekleidung und Merchandise, um ihre Strukturen zu finanzieren.

Das Modellprojekt VOLLKONTAKT hat, unterstützt von der Amadeu Antonio Stiftung, von 2020 bis 2024 bundesweit rechtsextreme Kampfsportstrukturen untersucht und Präventionsstrategien entwickelt.

„Neonazis arbeiten an der Professionalisierung von Gewalt und im Kampfsport werden Gewaltkompetenzen vermittelt. Wir haben es neben dem Rechtsrock mit einem zweiten großen kulturellen Feld zur Rekrutierung von rechtsextremen Nachwuchs zu tun“, sagt Robert Claus von VOLLKONTAKT. Das sei für den Bestand der Demokratie und die demokratische Zivilgesellschaft gefährlich.

Das Projekt bestand aus vier Säulen: Zunächst wurden die bestehenden Kampfsportstrukturen, insbesondere im Bereich MMA (Mixed Martial Arts) und weitere Selbstverteidigungsarten erforscht.

Dabei standen insbesondere Präventionsaktivitäten von Verbänden, Event-Veranstalterinnen, Gym-Betreiberinnen, Kommunal- und Sportpolitik sowie im Bereich des Jugendschutzes im Mittelpunkt.

Die zweite Säule umfasste umfangreiche Monitoring-Aktivitäten zu rechtsextremen Aktivitäten und Strukturen im Kampfsport. Alle Ergebnisse können online abgerufen werden.

https://www.vollkontakt.info/material

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In einem dritten Schritt wurden Workshops und Fortbildungsmodule für Vereine, Trainerinnen, Gym-Betreiberinnen entwickelt.

Die vierte Säule beinhaltete aktive Netzwerk- und Kontaktarbeit, um bundesweit relevante Multiplikator*innen zu erreichen.

Die Schwerpunktregionen des rechtsextremen Kampfsports liegen in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. „In den ostdeutschen Bundesländern agieren Rechtsextreme in der Kampfsportszene sichtbarer und militanter. Wir sehen aber, dass es rechtsextreme Kampfsportstrukturen auch in westdeutschen Bundesländern gibt, beispielsweise in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen. Das Problem nur in ostdeutschen Bundesländern zu sehen, vermittelt eine trügerische Sicherheit“, sagt Robert Claus.

In einigen Städten sei zu beobachten, dass der Kampfsport für islamistische Strukturen attraktiver werde.

„Im Verlauf des Projektes hat sich schnell gezeigt, dass das Thema Vielfalt im Kampfsport ganz zentral und wichtig für die Präventionsarbeit ist“, sagt Robert Claus. Rechtsextreme nutzten den Kampfsport als Mittel der sozialen Schließung.

Inklusion und Teilhabe von Frauen, Menschen mit Rassismuserfahrungen oder Migrationsgeschichte, von queeren Menschen oder Menschen mit Behinderungen im Kampfsport sollten dagegen aktiv gefördert werden.

Solche inklusiven Angebote macht der Athletic Sonnenberg e.V. in Chemnitz. Der Verein wurde 2020 gegründet, arbeitet ausschließlich nach basisdemokratischen Prinzipien und engagiert sich aktiv für kulturelle, soziale und politische Belange in der Stadt.

Neben Fußball, Volleyball, Radfahren, Cricket und Running spielen Kampfsport und Selbstverteidigung eine zentrale Rolle.

Um die Angebote bekannter zu machen, fand Mitte Oktober das „Lucky-Punch“-Aktionswochenende statt, das ebenfalls von der Amadeu Antonio Stiftung unterstützt wurde.

„In Chemnitz ist der Kampfsport in weiten Teilen von rechtsextremen dominiert“, sagt Luisa, eine der Organisator*innen von „Lucky Punch.

„Viele Leute haben Interesse am Kampfsport, konnten dem aber bisher nicht nachgehen. Unsere Kurse werden stark nachgefragt.“

Bei „Lucky Punch“ konnten über 200 Besucher*innen nicht nur Kampfsporttechniken ausprobieren oder Selbstverteidigung lernen. 16 Workshops, Vorträge und Lesungen, etwa zu Rukeli Trollmann (einem Sinti-Boxer, der im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurde), Stressmanagement im Sport oder der Verbindung von Männlichkeit, Rap und Kampfsport luden dazu ein, sich zu vernetzen und den Horizont über den Sport hinaus zu erweitern.

„Wir hatten Gäste aus Chemnitz, Sachsen, anderen ostdeutschen Bundesländern, aber auch aus Berlin, Düsseldorf, Frankreich und Tschechien. Der Erfolg hat uns selbst überrascht“, freut sich Luisa.

Werte und Demokratieförderung prägen die Arbeit des Vereins: „Wir vertreten Ideale wie Solidarität, Vielfalt, Toleranz und Respekt. Alle Leute sollen sich bei uns wohlfühlen, unabhängig von Alter, Religion, sexueller Orientierung, körperlichen Voraussetzungen, ökonomischem Hintergrund, Erfahrung oder Herkunft“, so Luisa.

Wichtig sei es deshalb auch, niedrigschwellige, anfänger*innenfreundliche Angebote zu machen. „Es kommen Leute zu uns, die nach Jahren erst wieder anfangen, überhaupt Sport zu machen und wegen negativer Erfahrungen lange pausiert haben. Das ist hier möglich, weil wir fehlerfreundlich arbeiten und einen liebevollen Umgang pflegen, in dem sich gut lernen lässt“, betont Luisa.

So gelinge es, auch immer mehr FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen) für Kampfsport und Selbstverteidigung zu begeistern.

Spätestens Anfang 2025 will der Verein ein eigenes Gym in der Stadt eröffnen. Die Umbauten und Renovierungen werden aktuell ehrenamtlich durch Mitglieder und engagierte Menschen aus der Stadt gestemmt, die einem Aufruf des Vereins gefolgt sind.

„Dadurch geht es viel schneller, als wir gedacht haben. Das zeigt auch, wie sehr so ein Angebot in Chemnitz bisher gefehlt hat“, ist sich Luisa sicher.